Die Bar des berühmten „Savile Club“ in Mayfair. Kaum ein anderer Ort führt so deutlich vor, was ein Gentlemen’s Club ist.
Bild: Auther H Tree at English Wikipedia & Maja Kostka, Savile Club Bar, Maja Photo, Mar 2016, CC BY-SA 3.0
Als in Jules Vernes Roman Phileas Fogg wettet, in 80 Tagen um die Welt reisen zu können, tut er dies in den Räumen des Reform Clubs. Fiktiv ist in diesem berühmten Werk der Jugendliteratur nicht alles. Phileas Fogg ist dem Kaufmann, Exzentriker und Reisenden George Francis Train nachempfunden, dessen Weltreise 1870 60 Tage dauerte. Den Reform Club gab es ebenso und er besteht noch heute. Es handelt sich hierbei um einen der zahlreichen „Gentlemen’s Clubs“, die typisch für die britische Kultur und Lebensart sind.
Eine lange und erfolgreiche Tradition
Die ersten Gentlemen’s Clubs wurden im 18. Jahrhundert in London gegründet und erwuchsen aus dem Wunsch, unter sich zu sein. Dies bedeutete zum einen unter Männern, zum anderen unter sozial Gleichgestellten mit ähnlichen Gesinnungen und Interessen. Diese Sehnsucht nach einem Ort – heute würde hierzu wohl das Wort „Third Place“ verwendet –, in dem man(n) sich wohlfühlte und sich mit Ebenbürtigen über Themen der Kultur, der Wissenschaft, der Politik und des Allgemeinwohls unterhalten, gepflegt edle Getränke zu sich nehmen und erlesen dinieren, aber auch dem Spiel frönen konnte, führte nicht nur zu einer starken Welle von Club-Gründungen im 19. Jahrhundert, sondern beflügelte auch die Entstehung solcher Vereinigungen im Ausland, namentlich in Indien und bald in den Ländern, die später das Commonwealth bilden sollten. Einst dem Adel vorbehalten, wurden die Gentlemen’s Clubs im 19. Jahrhundert immer mehr zu einem Hort der bürgerlichen Upper Class, in den britischen Kolonien zu einer Freistatt für Offiziere des britischen Empires.Weniger bekannt ist die Tatsache, dass viele Gentlemen’s Clubs, die seit dem 19. Jahrhundert als Symbol einer elitären Gesellschaftsschicht gelten, wie der White’s Club, ursprünglich sogenannte „Chocolate Houses“ waren, in denen man sich bei einer luxuriösen und für die durchschnittliche Bevölkerung absolut unerschwinglichen Tasse heiße Schokolade über Ideen und Entdeckungen austauschte.
Adressen, Mitgliedslisten und Ausstattung verkörpern Prestige und Kultur
Jeder, der in Großbritannien bzw. in der Londoner Gesellschaft je von Bedeutung war oder ist, ist in einem der Gentlemen’s Clubs verzeichnet – oft sogar in mehreren. Klangvolle Namen und in den jeweiligen Clubs demonstrativ ausgestellte Porträtgalerien spiegeln die Geschichte des Landes und seiner politischen, aber vor allem kulturellen Entwicklung wider. Literarische Größen wie Thomas Hardy, Sir Arthur Conan Doyle oder Mark Twain, Henry Irving stehen hier neben Winston Churchill, Lord Louis Mountbatten, Sergej Rachmaninow, Joshua Reynolds oder Charles James Fox.
Ebenso zum Träumen regen die Adressen der Clubs an: Mayfair, St. James’s Street, Pall Mall, Chesterfield Street … sind das Sinnbild von Luxus und Lebensart.Neben heute nicht mehr so oft anzutreffenden Räumen für Glücksspiel und Snooker zählen Salons, Bibliotheken, Zeitungs- und Lesezimmer, Rauchzimmer, Bars, Restaurants zu der Ausstattung eines jeden Gentlemen’s Clubs, komfortable Übernachtungsmöglichkeiten sind ebenfalls gegeben. Butlers und Dienerschaft sind handverlesen und dürfen als hochqualifiziertes Personal betrachtet werden.
Zwei typische Gentlemen ihrer Zeit in der Lobby des Athenaeum Club 1845.
Bild: William Radclyffe (1783–1855), Athenaeum-Lobby, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons
Strenge Aufnahmeregeln – bis heute
In den britischen Gentlemen’s Clubs zeigt sich das, was das digitale Zeitalter als den „Wert des Netzwerkens“ bezeichnen würde. Neben der Tatsache, dass ausschließlich Männer Zutritt erhalten, kann nicht jeder, der es gerne möchte, einfach ein Antragsformular ausfüllen und Mitglied werden.Wer in Frage kommt, wird vorgeschlagen; in vielen Clubs sind sogar zwei Empfehlungen von langjährigen und besonders angesehenen Mitgliedern nötig, um überhaupt als Bewerber in berücksichtigt zu werden. In einigen ist die Abstimmung über den Eintritt geheim und erfolgt über weiße und schwarze Kugeln, die in ein Säckchen gelegt werden, in anderen durch für alle einsehbare handschriftliche Zettel oder Handzeichen. Immer jedoch muss die Entscheidung einstimmig ausfallen.Wird die finanzielle Situation geprüft, so handelt es sich mehr um die Hinterfragung der Seriosität einer Person, zu der man sich gesellen wird – nicht zuletzt eventuell um, wenn auch außerhalb der Club-Räume, Geschäfte zu machen –, aber Geld spielt trotz der empfindlichen Höhe des Jahresbeitrags für die Annahme keineswegs die einzige oder gar entscheidende Rolle. Herkunft, Erziehung, Bildung, kulturelle Interessen, Ansehen, Benehmen, Beruf, politische oder philosophische Gesinnung sind die bei weitem wichtigeren Kriterien.Die Mitgliedschaft währt ein Leben lang, und so kann es vorkommen, dass einst wohlhabende und nun verarmte Mitglieder weiterhin den Club frequentieren. Daran nimmt niemand Anstoß, vielmehr ist eine äußerst diskrete und Ehrgefühl und Gesicht wahrende Unterstützung dem Unglücklichen gewiss. Verfehlungen gegen Regeln des Anstands hingegen werden mit dem sofortigen Ausschluss bestraft, was allerdings selten vorkommt.Jeder Club hat zudem seine eigenen thematischen Schwerpunkte – so ist der berühmte Savile Club in 69, St James’s Street Berufen aus den Bereichen Kunst, Drama, Recht, Literatur, Musik und Wissenschaft vorbehalten. So sichern die Clubs nicht nur eine soziale, sondern auch eine ideelle Harmonie und eine schlüssige Zusammensetzung im Hinblick auf ihre jeweiligen Zielsetzungen und Zielgruppen.
Der Athenaeum Club heute.
In unserer zuweilen doch recht bildungsfernen Zeit kann der Name „Gentlemen’s Club“ irreführend sein, aber dies ist allein der Amerikanisierung unserer Denkweisen geschuldet. Tatsächlich wird die Bezeichnung „Gentlemen’s Club“ in den Vereinigten Staaten und infolgedessen in vielen Ländern heute für verruchte Lokale des Burlesque oder der gehobenen Prostitution verwendet, doch diese haben mit einem britischen Gentlemen’s Club weniger als nichts zu tun. Hier sind Anstand, Leumund, die legendäre britische Zurückhaltung und Kleiderordnung weiterhin Maßstab.Zugeständnisse an die heutige Zeit werden nur behutsam eingeführt. Einige Clubs lassen in sorgfältig geprüften Ausnahmefällen auch Damen zu. So war Camilla, Duchess of Cornwall, bis zur Thronbesteigung Charles’ III. Mitglied in Phileas Foggs traditionsreichem Reform Club, Margaret Thatcher gehörte dem St. Stephen’s Club an.Konservative Einrichtung, Gepflogenheiten und exquisiter Service bleiben aber auf der Linie der vergangenen Jahrhunderte. Typisch britisch ist auch die Einstellung dazu: Die Gentlemen’s Clubs als verstaubt und Relikt zu betrachten, fiele hier niemandem ein. Möglicherweise liegt es nicht zuletzt daran, dass sie durchaus zeitgenössischen Bedürfnissen entsprechen. Waren viele von ihnen, wie der Brooks’s Club etwa, für das Glücksspiel berühmt, so spielt diese Beschäftigung in unseren Tagen kaum noch eine Rolle. Vielmehr finden die Mitglieder in ihren Clubs eine digitalfreie Welt, eine Oase der Tradition, in der Ruhe, distinguierte Unterhaltung und echte Werte für die Hektik der City und des Alltags entschädigen.
George Francis Train, der „echte“ Phileas Fogg.
Bild: Mathew Benjamin Brady creator QS:P170,Q187850, George Francis Train, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons
Gentlemen’s Clubs sind eine Bastion britischer Kultur und Identität, die so schnell nicht fallen wird – vereinen sie doch alle sozialen Merkmale, die in der heutigen Gesellschaft als Faktor des Erfolgs und eines ausgewogenen Lebens gelten: Sie sind in unser modernes Vokabular übertragen geschützter „Third Place“, geben die Gelegenheit zu „Networking“ und „Socializing“, befeuern Träume, verbinden mit Luxus und Lebensart und setzen Traditionen fort, die die Sehnsucht nach Kommunikation, Zugehörigkeit und echten Werten stillen.