Drei Übersetzungen einer einzigen Realität? Meinen die drei Begriffe wirklich das gleiche?
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Fremdwörter. Unsere Sprache ist voll davon – und nicht selten sind sie ein Reizthema. Puristen möchten sie am liebsten ganz und gar verbannen und werfen ihnen gern vor, dass sie die Qualität eines Textes und die „guten alten Werte“ des Ausdrucks zunichtemachen. Sie betrachten ihre zunehmende Verwendung, insbesondere in Form von Anglizismen, als beunruhigendes Anzeichen für kulturellen Niedergang und als konkrete Bedrohung.
Linguisten ihrerseits sehen in ihrer Übernahme den aufregenden Beweis für die begeisternde Lebendigkeit von Sprachen. Kulturhistoriker wiederum werden nicht müde, zu betonen, dass auch die Art, wie wir kommunizieren, zu allen Zeiten Moden und Zyklen unterworfen war und es immer wieder als schick galt, über den Tellerrand zu schauen und mit einer gewissen fremdsprachlichen Bildung zu aufzutrumpfen. Als Beispiel führen sie gerne das Preußen des Alten Fritz’ an, in dem Französisch es nicht nur ermöglichte, in literarischen Salons zu glänzen – Pardon: zu brillieren – sondern beinahe den Status einer zweiten Amtssprache genoss.
Allen Rechthabereien und Debatten zum Trotz gibt es Begriffe, die in der deutschen Sprache friedlich nebeneinander bestehen und widerspruchslos akzeptiert wurden, obwohl ihre Wurzeln weit außerhalb unserer Gefilde liegen. Zu ihnen zählen etwa „Lifestyle“ und „Art de vivre“. Dabei ließe sich durchaus einwenden, dass ihre Übernahme eher überflüssig sei, kennt die deutsche Sprache doch das schöne Wort „Lebensart“.
Doch gerade hier zeigt sich, dass dem allgemeinen Sprachgebrauch eine intuitive Weisheit, ein unreflektiertes und doch sehr zutreffendes Gespür innewohnt.
Lebensart, Art de vivre und Lifestyle scheinen auf dem ersten Blick wie Facetten eines einzigen Begriffes zu sein. Doch der Schein trügt.
„Lifestyle“ ist bei weitem nicht nur eine „coole Variante“ des deutschen oder des französischen Ausdrucks.
Das englische Wort beinhaltet vor allem eine Art, das eigene Leben zu gestalten. Es gibt den Lifestyle des Jetsets, den Country-Lifestyle, den Business-Lifestyle, einen sportlichen Lifestyle, einen veganen oder ökologischen Lifestyle ... „Lifestyle“ bedeutet einen bestimmten Lebensrhythmus, ein bestimmtes Umfeld, bestimmte Vorlieben, bestimmte Ziele, bestimmte Entscheidungen und schließt alle sichtbaren Merkmale ein, die diese widerspiegeln: Kleidung, Einrichtung, Dekoration, Fahrzeug, Ernährung, Wohnort. „Lifestyle“ ist ein Statement, ein Image, eine erklärte Positionierung, die auch Vorbildfunktion haben kann. Lifestyle ist eine bewusste Wahl und wird als solche als erreichbar, erstrebenswert und nachahmungswürdig empfunden. Der Lifestyle bzw. die Lifestyles von Influencern generieren auf diese Weise ein Milliardengeschäft. Doch gerade darin liegt die Einzigartigkeit des Wortes selbst: Es gibt nicht „den“ Lifestyle. Lifestyle ist in seiner Vielfalt in unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten und Qualitätsabstufungen zu finden. Als solcher ist er wie Moden ein Stück Zeitgeist, wandelbar und kurzlebig, zwischen Graswurzelbewegung und Marketingstrategie. Lifestyle ist ein Symbol für die Freiheit der eigenen Lebensführung, für einen stimmigen, alle Bereiche des Alltags miteinschließenden Stil, für die unbegrenzten Möglichkeiten des Seins und das Recht auf Individualität und Authentizität.
Diesem individuellen und nicht normativen Anspruch steht der französische Ausdruck „Art de vivre“ auffallend entgegen. Tatsächlich ist der Begriff, mit dem sich international viele Unternehmen, Websites und Blogs schmücken, weil er das typisch französische Flair vermittelt, von bemerkenswerter Komplexität. Die wörtliche Übersetzung („die Kunst, zu leben“) ist für ein besseres Verständnis leider nur wenig aufschlussreich. Vielmehr sind Kenntnisse der französischen Denkkultur erforderlich, um die ganzen Nuancen zu erfassen. „Art de vivre“ ist in der französischen Vorstellung eng mit Maßstäben verbunden: mit einem hohen Bildungsniveau, der Achtung und Einhaltung von gesellschaftlichen Gepflogenheiten, mit Stil und gehobenem Geschmack. Zwar gehört zum „Art de vivre“ durchaus die Fähigkeit, kleine und einfache Freuden zu genießen und diese zu schätzen zu wissen, doch handelt es sich immer um eine auf akzeptierten Konventionen und Wertvorstellungen beruhende, nicht hinterfragte und lang tradierte Betrachtungsweise. Die Form spielt hier wie in vielen anderen Bereichen des französischen Lebens eine sehr erhebliche Rolle. Die schönen Dinge des Lebens stilvoll genießen – das ist in erster Linie „Art de vivre“. Teil des „Art de vivre“ ist daher auch das „savoir-vivre“, ein ebenfalls vielschichtiger Begriff, der nicht mit „zu leben zu wissen“ übersetzt werden sollte, sondern vielmehr mit der souveränen Beherrschung von Etikette, Manieren und welt- und redegewandtem Auftreten zu tun hat. Jenseits der Fähigkeit, es zu verstehen, das Erlesene zu erkennen und zu genießen, hat „Art de vivre“ daher immer eine demonstrativ wertende Komponente, die über kulturelle und soziale Akzeptanz entscheidet.
Zwischen diesen beiden Polen schwebt die deutsche „Lebensart“ verträumt hin und her, der es spielend gelingt, fast wertneutral epochenbezogene Lebensweisen, aktive individuelle Gestaltung und soziale Kompetenz zusammenzufassen und zu versöhnen. In den letzten Jahrzehnten gesellt sich, wenn auch nicht überall im deutschen Sprachraum, eine neue Nuance dazu. „Lebensart“ wird zu einer Sehnsucht, zu einem als möglicherweise unerreichbar empfundenen Zustand, zu einer Bewunderung dessen, was uns an fremden Kulturen und Mentalitäten beneidenswert erscheint. Sie wird hierbei zu der verklärten Fähigkeit „der anderen“ Länder, Dolce Vita, Slow Life, Siesta, ästhetische Werte und hochwertige kulinarische Genüsse offensiver und konsequenter zu leben. Ein idealisiertes Bild ferner Idyllen und Gewohnheiten wird gern bundesdeutscher Verbissenheit und vermeintlicher Bodenständigkeit gegenübergestellt. In Österreich allerdings drückt sich Lebensart demonstrativ in liebevoll gepflegten Traditionen und dem damit verbundenen Qualitätsbewusstsein aus.
Dieses Dürsten wird immer mehr zu einem ernstzunehmenden Wirtschaftsfaktor: Spezialitätengeschäfte, Tischkulturhäuser sowie Blogs und Bücher zu diesen Themen sind ein neues Erfolgsmodell.
Lebensart
„Lebensart“, „Art de vivre“ und „Lifestyle“ sind in der Tat nicht die Übersetzung einer und derselben „Sache“. Sie bilden drei unterschiedliche Realitäten, drei Vorstellungswelten, drei Wertesysteme ab, die nicht einfach austauschbar sind. Und sie zeigen, dass Fremdwörter auch im Rahmen einer gepflegten Sprache nicht grundsätzlich und pauschal verteufelt werden sollten: Manche schenken einem Text erst eine unerlässliche kulturelle Dimension. Unser kleines Magazin befasst sich gleichermaßen mit Lebensart, Art de vivre und Lifestyle – zur Freude unserer Leser, so hoffen wir.
An diesen Begriffen wird deutlich, was Übersetzen und Übersetzbarkeit bedeuten. Es sind eben die winzigen Nuancen, die sich hinter dem Wort verbergen, die es für ein fundiertes Verständnis und eine fruchtbare Verständigung zu vermitteln gilt – und das ist nicht einfach. Gerade die nicht übertragbaren Inhalte sind es, die eine qualitativ hochwertige Übersetzungsarbeit erfordern. Hier hilft Ihnen unsere Übersetzungsagentur Lebensart by eurolanguage.