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AutorenbildMartina Schmid

Oliven – Lebensart und Menschheitsgeschichte zugleich


Foto: @wic.com / Marinierte Oliven


Sich wie im Urlaub fühlen … Sich etwas Gutes tun und die gesunden Zutaten der Mittelmeer-Küche in den Alltag integrieren … Einen schönen Salat optisch vervollkommnen … Einen sinnvollen Snack zu sich nehmen … Eine kleine grüne oder schwarze Frucht genügt, um aus einem gewöhnlichen Mahl oder dem kleinen Hunger zwischendurch einen besonderen, belohnenden Moment zu machen, der uns in andere Gefilde entführt.


Die lange Geschichte einer gepflegten Lebensart Bereits lange vor unserer Zeit galten sie als wertvoll und wurden geschätzt: Oliven. Sie gehörten zur Grundernährung im Alten Rom und im antiken Griechenland, sind auf vielen Mosaiken und Gegenständen des täglichen Gebrauchs aus dieser Zeit abgebildet, und Archäologen entdeckten Reste ihres Öls in unzähligen Gefäßen sowie Kerne in Abfallschichten früher Siedlungen. Auch in Jordanien und im heutigen Israel war der Olivenbaum verbreitet und fand sogar in das Alte Testament als Symbolgewächs Einzug. Im Alten Ägypten galt er als Geschenk Isis’, der Frau des wichtigsten Gottes der ägyptischen Mythologie, an die Menschen. Funde aus der Zeit der minoischen Kultur zeugen ebenfalls von seiner Bedeutung, und archäologisch-geologische Untersuchungen von Bohrkernen zeigen, dass Olivenbäume bereits vor 12.000 Jahren im gesamten Mittelmeerraum und dessen angrenzenden Ländern wuchsen und ihre Früchte damals schon verzehrt wurden. Es scheint, als folge ihre Verbreitung den Wegen menschlicher Zivilisationen: Dort, wo sie vorkamen, entwickelten sich die ersten Hochkulturen.


Internationalität und Handel – Oliven zwischen Sprachen, Kulturen und trügerischen Wahrheiten


Naturgemäß gehören Oliven zu den ersten Produkten, mit denen Austausch getrieben wurde. Für Übersetzer und Linguisten sind sie daher mehr als nur eine Leckerei: Die Entwicklung des Wortes, das heute in den jeweiligen Ländern für die ovale Frucht verwendet wird, zeichnet nämlich die Importwege wieder, die sie in ferner Zeit nahm, und zeigt, wie Wortanlehnungen und -aneignungen unsere Sprachen bereichern. In Ländern, die die Olive erst über römische Händler – oder als sie erobert und zu römischen Provinzen wurden – kennenlernten, trägt das Wort heute noch die Spuren der lateinischen Wurzel oliva: von ólífa auf Isländish, oliven auf Norwegisch, оли́вка auf Russisch, bis zu olive auf Französisch oder oliva auf Slowenisch. In Ländern wiederum, die eher mit dem östlichen Mittelmeerraum und dem heutigen Nahen Osten wirtschaftliche Kontakte pflegten oder aber die Olive unter arabisch-maurischem Einfluss entdeckten, heißt die Frucht des Olivenbaums – in verschiedenen Abwandlungen des arabischen al-zaytun bzw. des hebräischen zayith – etwa aceituna (Spanisch) oder azeitona (Portugiesisch).


Oliven bleiben im 21. Jahrhundert ein wichtiger Bestandteil des internationalen Handels. Obwohl unser Unterbewusstsein Oliven spontan und durchaus zu Recht mit Griechenland, Italien und Spanien assoziiert, ist erstaunlicherweise keines dieser Länder der größte Olivenproduzent … sondern Tunesien, das sich wegen der sehr hohen Qualität der Früchte und eines fast ausschließlich biologischen Anbaus international einen hervorragenden Ruf erarbeitet hat und es zudem verstanden hat, aus seiner lang tradierten Olivenkultur eine Tourismusattraktion zu machen.



Foto: @wix.com / Olivenstand


Oliven genießen: schwarz oder grün?


Was wie eine parteipolitische Frage klingen mag, ist für Gourmets ein ganz entscheidender Unterschied, und es sollte beim Kauf auf ein kleines Detail geachtet werden. Während in der Natur in der Tat grüne Oliven mit der Zeit eine dunkelrote, später violette bis schwarze Farbe annehmen, sind nicht alle schwarzen Oliven, die im Handel vertrieben werden, perfekt sonnengereifte Früchte. Im Gegenteil stellen diese eher die Ausnahme dar. Die meisten in Supermärkten erhältlichen schwarzen Oliven werden grün geerntet und konserviert und lediglich durch künstliche Oxidation mit Eisen-II-Glukonat oder Eisen-II-Laktat eingefärbt. Hier ist ein wirtschaftlicher Grund ausschlaggebend: Wie andere Früchte auch werden Oliven mit zunehmendem Reifegrad empfindlicher, es muss bei der Ernte mit größerer Vorsicht vorgegangen werden und die Verluste durch beschädigte und nicht mehr verkäufliche Früchte sind unvermeidlich höher – ein für die Olivenbauern hohes Risiko, das nur ungern in Kauf genommen wird. Während dieser kleine Trick bei Olivenkonserven nicht kennzeichnungspflichtig ist, muss bei lose am Marktstand verkauften Oliven genau angegeben werden, ob sie am Baum gereift sind oder behandelt wurden. Eine Kostprobe klärt ohnehin schnell auf, denn Geschmack und Konsistenz täuschen nicht: Grüne Oliven sind auch gefärbt herber, bitterer, ihre Haut ist knackiger, ihr Fleisch fester, während schwarze Früchte milder, fruchtiger, weicher und cremiger sind.



Wie Oliven unsere alten Träume von einem perfekten Leben nähren


Nicht zuletzt jene antiken Bilder und das Wissen, dass unsere Vorfahren bereits vor Erfindung der Schrift Oliven als zentralen Teil ihrer Ernährung betrachteten, dass sie in ihrer noch wilden Form sogar vermutlich für die Sammler unter den Jägern überlebenswichtig gewesen sein könnten, nähren eine Nostalgie, die mehr als nur ein poetischer Gedanke ist, die uns mit unserer Vergangenheit als Mensch und mit unseren Ahnen verbindet. Oliven werden zum Ausdruck unserer Sehnsucht nach Kontinuität, nach einer naturnahen und maßvollen, gesunden Ernährung, nach einer Welt, wie wir glauben möchten, dass sie damals gewesen ist, heute noch sein könnte und morgen sein sollte. Ihre gefühlte Unveränderlichkeit in all den Jahrtausenden schenkt uns selbst in unserer bedrohten Umwelt die entspannende Überzeugung, etwas Gutes, Unverfälschtes und Beständiges in Händen zu halten. Oliven übersetzen unsere Hoffnung auf ein besseres Leben und verklären auf romantische Weise unsere Vergangenheit. Deshalb ist schon ihr Anblick ein kleines Stück Glück, das uns zum Lächeln bringt. Vermutlich deshalb sind sie in Wandkalendern und Bilderbänden ein beliebtes Motiv, das gern auch von zeitgenössischen Kunstmalern aufgegriffen wird.



Foto: Mathilde Ro @unsplash.com


Ob in den Ländern, in denen die über 1000 Sorten Oliven wachsen, oder in den vielen Regionen der Erde, in die sie importiert werden – sie sind immer das Sinnbild von Lebensqualität, Gesundheit, Langlebigkeit und sie verkörpern die mediterrane Einstellung in all ihren unaufgeregten, wertorientierten, gleichzeitig unkomplizierten und durchdachten Facetten. Oliven sind zugleich ein in seiner Ursprünglichkeit unvergleichliches Geschenk der Natur und ein Zeugnis dessen, was internationaler Austausch an Bereicherung für Kultur und Lebensart bedeutet und wie er mit kleinen, aber feinen, schlichten, aber kostbaren Dingen den großen Unterschied macht.

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