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AutorenbildMartina Schmid

Urushi-nuri – Lackwaren aus Japan





Lackwaren sind in fast allen Ländern bekannt, und dies bereits seit vielen Jahrhunderten. Waren sie einst ein typisches Handelsgut aus Asien, so fanden diese kunsthandwerklichen Techniken durch Nachahmung und Aneignung nach und nach auch in Europa Verbreitung und damit eigene Ausdruckweisen. Dass Lackwaren überall geschätzt und als etwas Wertvolles empfunden werden, hat nicht nur mit Wissen zu tun, sondern in erster Linie mit der spontanen subjektiven Wahrnehmung. Ihr Glanz ist dabei vielleicht weniger ausschlaggebend als die schlichte, puristische Perfektion, die sie ausstrahlen. Ihre makellose Oberfläche gebietet auch dem unkundigen Betrachter unabhängig von Alter und persönlichem Geschmack instinktiv Ehrfurcht und Bewunderung, weil er spürt, dass er es mit etwas Kostbarem zu tun hat. Zwischen all den Traditionen, die im Laufe der Zeit regional unterschiedliche Wege genommen haben, gilt die japanische Lackkunst als einzigartig.


Aus Natur wird Kunsthandwerk

Verbundenheit mit der Natur und Dankbarkeit gegenüber den Materialien, die sie dem Menschen gibt, ist ein Grundprinzip der japanischen Anschauung. So fand auch in diesem Fall eine lange und ruhmreiche Geschichte in einem Baum ihren Ursprung. Bis zu 20 Meter hoch kann der Lackbaum werden, dessen historische Wurzeln sich archäologischen Funden zufolge bis ins 4. Jahrtausend v. Chr. zurückverfolgen lassen, und der wie der nordamerikanische Sumach zu den Giftefeu-Arten gehört. Der Saft namens Urushi, der durch Einritzen seines Stamms (Ki-urushi) oder seiner Äste (Seshime-urushi) gewonnen wird, ist eine helle, giftige und stark allergene Flüssigkeit, die sich zunächst vor allem dadurch auszeichnet, dass sie Gegenstände aus Holz, Leder, Papier oder Textilien auf natürliche Weise vor Schimmel- und Keimbildung schützt – eine im feucht-heißen Klima Japans nicht ganz unwichtige Eigenschaft. Doch wie so oft in Japan verbanden sich bald diese nüchternen biologischen Tatsachen mit dem kulturell bedingten Bedürfnis nach einer Ästhetik des Alltags, die die Geschenke der Natur ehrt und Schönheit auch in den vermeintlich kleinn Dingen feiert. Der Aufstieg vieler Formen des Kunsthandwerks in der Edo-Periode verstärkte diese Tendenz noch: Das, was als Klebstoff für Speerspitzen und Beschichtungen von Rüstungen seinen Siegeszug begonnen hatte und lediglich eine praktische schnöde Schutzschicht hätte werden können, wurde durch bis heute unermüdlich immer weiter verfeinerte Techniken zu einem weltweit beachteten und unter Sammlern begehrten Kleinod.


Von der Ursprünglichkeit der Schätze Japans

Urushi-Lackwaren sind in drei Farben zu finden und spiegeln die Substanzen wider, die bereits den frühesten Urushi-Handwerkern zur Verfügung standen: Durch Zugabe von Eisenoxid oder Zinnober entsteht ein leuchtendes Rot, Ruß lässt den Lack in einem Schwarz unvergleichlicher Tiefe erstrahlen. Seit kurzem wird Urushi entgegen der bisherigen Tradition insbesondere auf Holz auch ohne Zusätze verwendet und verleiht den Oberflächen nach der Trocknung eine elegante braune Farbe. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, Gold einzustreuen, oder es in flachen Mustern oder mehr oder weniger ausgeprägten Reliefs aufzutragen. Diese Techniken, die es in vielen Varianten und Abstufungen gibt, werden als Maki-e bezeichnet. Auch wenn in neuerer Zeit einige Kunsthandwerker nach originellen Wegen suchten, die Tradition des Urushi-Lacks wirtschaftlich erfolgreich und dennoch respektvoll in die Zukunft zu überführen, und mitunter weitere Pigmente, Perlmutt oder Eierschalen in ihre Arbeit integrierten, bleiben Rot und Schwarz die beiden typischen Farben der Urushi-nuri.


Eine langwierige und schwierige Arbeit …

Der Saft des Urushi-Baums wird von Mai bis Oktober in Handarbeit gewonnen und ist zunächst ein trübes Harz, das aufwändig durch spezielles Papier gefiltert werden muss. Der Auftrag der schier unzähligen Schichten, zwischen denen die Oberfläche immer wieder geschliffen und gereinigt wird, erfordert größte Sorgfalt, eine ruhige Hand und jahrzehntelange Übung. Die Trocknung muss in einem staubfreien Raum in einer konstant optimalen Umgebung (bei 30° und einer sehr hohen Luftfeuchtigkeit) erfolgen, um eine perfekte ebenmäßige Aushärtung zu ermöglichen. Diese körperlich anstrengenden Bedingungen, die unerlässliche hohe psychische Konzentration und die stark allergenen Eigenschaften der Urushiole im Harz stellen eine nicht unerhebliche gesundheitliche Belastung dar, und regelmäßige Pausen sind bei aller Leidenschaft für diesen ungewöhnlichen Beruf ein Muss. Echte Urushi-nuri kann nicht industriell gefertigt werden – was auch den hohen Preis dieser Waren erklärt.


… für besondere Momente

Gehören zu Urushi-nuri so alltägliche Gegenstände wie Reisschalen, Tassen, Essstäbchen, Vasen, so bleibt auch in Japan der Gebrauch dieser teuren Luxuswaren eher feierlichen Gelegenheiten wie Neujahr, Hochzeiten und ähnlich bedeutsamen Anlässen vorbehalten. Es gibt übrigens Urnen aus dem wunderschönen Material. Dennoch zeigt sich – nicht zuletzt durch die Pandemie – die Tendenz, das „gute Geschirr“, wie wir es im Westen wohl nennen würden, häufiger und ohne besonderen Grund zu verwenden und dadurch dem Alltag eine neue, erhebende Dimension zu verleihen und das Können und die Mühen der Kunsthandwerker zu ehren. So finden Lebensart, Rituale und Traditionen eine neue Interpretation.




Japanische Lackwaren sind deshalb für Sammler und Unkundige gleichermaßen faszinierend, weil ihre Oberfläche von so unglaublicher Vollkommenheit zeugt, dass es schwer fällt, sich vorzustellen, dass dies tatsächlich das Ergebnis menschlicher Handarbeit sein kann – zu erlesen, zu ätherisch strahlend scheint diese unbeschreibliche Tiefe von Glanz und Farbe zu sein.

Urushi-nuri ist auf vielfältige Weise ein einzigartiges Stück Japan und der unverfälschte Ausdruck der weltweit wohl einmaligen Denkart seiner Kunsthandwerker: ihrer Liebe zu Detail und Sorgfalt, ihrer Achtung und Verehrung der ihnen und ihren Händen von der Natur anvertrauten Rohstoffe, ihrer authentischen Demut, ihrem Pflichtbewusstsein und ihrer unablässigen ästhetischen Suche nach Perfektion und Sublimierung.

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