Von Schlägen, Kohlen und Orangen
Weihnachtsgeschenke zu bekommen ist insbesondere für kleine Kinder eine aufregende und spannende Sache und ganz sicher eine der schönsten Seiten der kalten Jahreszeit. Doch diese freudige Erregung in Erwartung des lang ersehnten Spielzeugs, das in diesem Augenblick das ganze Glück der Erde zu bedeuten scheint, kann schon mal zu Übermut und Ungeduld führen. Die Balance zwischen notwendiger Strenge und amüsiertem Laissez-faire ist für Eltern nicht immer ganz leicht zu halten, und dies war schon zu allen Zeiten und auf allen Kontinenten so. Auch wenn Erziehungsmethoden immer feinfühliger geworden sind und Angst auf der Liste der bevorzugten pädagogischen Werkzeuge nicht mehr oben steht, greifen selbst liberale Eltern gern zu einem Instrument, das ihnen Weihnachtstraditionen bereitwillig liefern: Nur wer brav ist, wird belohnt.
Italien – die zwei Seiten einer Hexe
In Italien werden die Geschenke erst im neuen Jahr verteilt, genauer gesagt je nach Familien und Regionen am Abend oder in der Nacht vor dem Dreikönigstag. Hierfür zuständig ist die Hexe Befana, die auf ihrem Besen durch Wind, Schnee und Kälte reitet, und die am Kamin oder in der Nähe eines Fensters aufgehängten Strümpfe hauptsächlich mit Pralinen, Karamellbonbons, Nüssen, Trockenobst oder Mandarinen und nur manchmal mit kleineren Geschenken befüllt. Wirklich große Geschenke bekommen italienische Kinder nämlich erst zu Ostern, und die Weihnachts- und Neujahrszeit hat sich ihre symbolische und traditionelle, weniger kommerzielle Bedeutung erhalten. Ausgepackt und ausgebreitet wird der Inhalt der Strümpfe entweder bei einem späten Abendessen oder am Frühstückstisch, und hier zeigt sich vor aller Augen, wer eine Belohnung verdient hat und wer nicht. Manches Herzchen schlägt dann etwas schneller und nachdenklicher als sonst, denn Befana gilt zwar als etwas schrullig und aufbrausend, aber auch als sehr konsequent, gerecht und unbestechlich: Unartige Kinder finden lediglich … Kohlen vor.
Österreich und Liechtenstein – das Gute kommt selten allein
Verteilt der Nikolaus in österreichischen Landen seinem heiligen Vorbild folgend Geschenke und Schokolade, so kommt er nicht allein. Eine mit einem Mantel aus Schafs- oder Ziegenfell bekleidete Gestalt, deren Gesicht von einer teuflischen Holzmaske bedeckt ist und die eine unmissverständlich bedrohliche Birkenrute mit sich führt, begleitet ihn und steht bereit, jedem das zu geben, was er verdient: der Krampus. Auch wenn dies natürlich nur symbolisch geschieht, ist schon der abschreckende Anblick für manche Dreikäsehochs ein ausreichend überzeugendes Argument. Aber auch Erwachsene können die Schläge des Krampus zu spüren bekommen: In manchen Gemeinden werden Krampusläufe und Krampusumzüge organisiert, bei denen die Traditionsfigur, die manchmal in Horden auftritt, durchaus auf die Zuschauerreihen zugeht und sich nicht scheut, von ihrer Rute Gebrauch zu machen. Wie es in angelsächsischen Ländern an Halloween der Fall ist, hat das Publikum Freude dran, sich erschrecken zu lassen und kreischend vor dem Krampus zu flüchten. Doch stehen diese Veranstaltungen zunehmend in der Kritik, denn sie führen alljährlich zu einigen gewalttätigen Ausschreitungen mit erheblicher Verletzungsgefahr – auch für die Krampus-Darsteller. Vom Krampus gibt es in den verschiedenen Regionen Österreichs und den Gemeinden Liechtensteins übrigens sehr viele Varianten und Abwandlungen.
Père Noël und Père Fouettard – langfristig brav in Frankreich?
In Frankreich bringt weder der Nikolaus noch das Christkind die Geschenke, sondern der Weihnachtsmann, der in der Nacht vom 24. zum 25. Dezember gekonnt durch den Schornstein gleitet und die aufwändig verpackten und oft zahlreichen Päckchen, die hauptsächlich Spielzeug enthalten, auf die Schuhe legt, die vor dem Schlafengehen blank geputzt und ordentlich unter den Weihnachtsbaum platziert wurden. Bis in die 1970er Jahre hinein mussten freche Kinder befürchten, in ihrem Schuh lediglich eine Orange oder eine Mandarine vorzufinden. Verschwand dieser Brauch zwar, so bleibt die Legende des Père Fouettard aufrechterhalten, die Eltern gute Dienste erweist, bis die weihnachtlichen Schulferien zu Ende gehen: Ist das beschenkte Kind zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag allzu ungezogen, kommt der Père Fouettard am 7. Januar vorbei und droht nicht nur mit seinem langen eichenen Stützstock, seiner immer mitgeführten Klopfpeitsche – einem übrigens bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts in der französischen Kindererziehung durchaus wirklich verwendeten Instrument – oder seinem Besen aus Birken- oder Kastanienzweigen mit Schlägen: Er holt vor allem die Geschenke wieder ab, die der Weihnachtsmann gebracht hat. Und das möchte natürlich niemand riskieren!
In Zeiten, in denen sich Kinder bereits im Grundschulalter mit dem Internet vertraut machen und durch die allgegenwärtige Medienpräsenz sicherlich weniger gutgläubig sind, als es ihre Vorfahren im selben Alter waren, wird sich zeigen, ob solche bestrafenden Gestalten lange Wirkung haben können. Viel mehr herrscht sicher in den meisten Fällen eine stillschweigende Übereinkunft des „so tun, als ob“, aber auch sie macht Spaß und birgt in sich einen Teil des weihnachtlichen Zaubers. Erwachsene wiederum können gerade in der Weihnachtszeit in ihren Erinnerungen an Strafandrohungen, Sorgen und Schlichen aus ihrer eigenen Kindheit etwas gerührte Nostalgie genießen, die die Seele wärmt und an dunklen Tagen ein sanft verklärtes Lächeln in die Gesichter zaubert. „Tja, so war es damals …“