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AutorenbildMartina Schmid

Wort-Geschichten: "UmamI"



Ein großes Stück Parmeasan auf einem Holztablett



Wie kann ein japanisches Wort die Welt der gehobenen Küche revolutionieren? Die Geschichte ist faszinierend und eine echte Erfolgsstory, denn diese drei kleinen Silben haben es innerhalb von weniger als einem halben Jahrhundert geschafft, wortwörtlich in aller Munde zu sein – außer Neologismen aus dem Technikbereich erreicht kaum ein Begriff in so kurzer Zeit eine solche Selbstverständlichkeit und Popularität. Tatsächlich bereichert es nicht nur unsere Sprache, sondern auch unsere Art, Geschmack wahrzunehmen und zu erleben.



Eine blasse Übersetzung?


Es wird oftmals behauptet, dass dieses typisch japanische Konstrukt sich nicht wirklich in andere Sprachen übertragen ließe, und aus diesem Grund wird auch in anderen Kulturen „umami“, das nicht groß geschrieben werden sollte, da es sich um ein Adjektiv handelt, einfach übernommen. Unübersetzbar ist das Wort nicht. Es bedeutet wörtlich schlicht „wohlschmeckend“. Was allerdings schwer zu vermitteln ist und für eine Einzigartigkeit sorgt, die sich ständig zu entziehen scheint, ist das Kaleidoskop an Inhalten, Nuancen und Werten, die es impliziert.



Ein unspektakulärer Beginn


Eine eher trockene Materie, die für gewöhnlich wenig mit der Suche nach den Freuden gehobenerer Lebensart in Verbindung gebracht wird, war der Ausgangspunkt einer kuriosen Zeitenwende in Sachen Geschmacksempfinden: Der Chemiker Kikunae Ikeda stellte gegen Ende des 19. Jahrhunderts aufgrund eigener Wahrnehmungserlebnisse beim Verzehr einiger Lebensmittel fest, dass gerade bestimmte Speisen, die weder als süß, sauer, salzig oder bitter bezeichnet werden konnten, einen gleichzeitig einzigartigen und vor allem überaus befriedigenden Geschmack aufwiesen, den er 1908 zum ersten Mal als „umami“ beschrieb. Er listete die entsprechenden Zutaten auf und analysierte sie systematisch. Alle hatten in unterschiedlichen Konzentrationen einen gemeinsamen Stoff inne: Glutamat. Bald darauf wurde aus der Erkenntnis eine Geschäftsidee: Zusammen mit einem Partner begann er, die Substanz, die in vielen Lebensmitteln natürlich vorkommt, synthetisch anhand des Hydrolysats von Weizenproteinen herzustellen, das als Geschmacksverstärker Mononatrium-L-Glutamat bis heute bekannt ist. Wie so oft jedoch muss hier ein wenig unterschieden werden: Während das natürliche Glutamat gesundheitlich absolut unbedenklich ist, gilt es für die synthetische Variante nicht.



Glück zwischen Zunge und Gehirn – vom ersten Lebenstag an

Mit dem zunehmenden Interesse für die Gehirnchemie und ihrer immer eingehenderen Erforschung im 20. Jahrhundert wuchs auch das Wissen um die Wahrnehmung von umami. Heute steht fest, dass natürliche Glutamate widersprüchlicherweise eine sowohl appetitanregende als auch sättigende Wirkung haben und ihre chemische Zusammensetzung das limbische System anspricht. Mit anderen Worten: Umami macht rundum glücklich, und die Sehnsucht nach diesem Geschmack kann regelrecht süchtig machen, was die Lebensmittelindustrie durch die künstliche und nicht gerade gesunde Form dieser Stofffamilie sich zunutze zu machen weiß. Warum unser emotionales Belohnungszentrum auf umami reagiert und lediglich einige wenige hierfür dennoch kaum empfänglich sind, hat sich allerdings erst in jüngerer Zeit offenbart: Muttermilch enthält im Gegensatz zu Kuhmilch natürliches Glutamat, so dass der Mensch von den ersten Stunden seines Lebens an die unbewusste Erinnerung an diese Substanz mit Geborgenheit, Glück und Befriedigung verbindet. Dies erklärt auch, warum Personen, die nie mit Muttermilch gestillt wurden, der sogenannten „fünften Geschmacksrichtung“ eher gleichgültig gegenüberstehen und sie zum Teil nur als „salzig“ wahrnehmen.



Die poetische Suche nach dem Geheimnis


Sind die naturwissenschaftlich-chemischen und geschmackspsychologischen Hintergründe von umami mittlerweile gut untersucht, so ist es nicht ganz so einfach, diese Dimension des Geschmacks im Alltag zu beschreiben, und eben deshalb wurde eine Übersetzung nie ernsthaft in Erwägung gezogen. Gebratenes Fleisch, Fische und Krustentiere, getrocknete Tomaten, Parmesan, Speck, Algen, Pilze, Oliven, Erdnüsse, fermentierte Produkte wie Sojasoße … sie alle sind umami.



getrocknete Tomaten


Wir können uns den Geschmack dieser Produkte zwar selbstverständlich vorstellen. Doch wie kann das, was ihnen gemein ist, in Worte gefasst werden? Hier hilft etwas Poesie. Umami ist eine warme und dunkle Geschmacksrichtung, die zwischen intensivem Dunkelrot, strahlenden Brauntönen, ruhigem Anthrazit und unergründlichem Dunkelgrün changieren kann. Sie ist Einladung und Begleitung und spiegelt daher jene perfekte Gastfreundschaft und Geborgenheit wider, die traditionelle japanische Häuser aus duftenden Hölzern und weichem Washi zu vermitteln wissen.


Umami ist Harmonie und Vollendung.

Unterschiedliche Pilze in einem Wiedenkörbchen auf Herbstlaub


Umami in der gehobenen westlichen Gastronomie

Den Gast glücklich machen, dabei die Natürlichkeit gesunder Zutaten nutzen und sie zu einem Gesamtkunstwerk zusammenstellen, das gleichzeitig das Verlangen anregt und restlos befriedigt. Dieses Ziel, ja dieses Wagnis, das Spitzenköche als ihre Berufung betrachten, lässt sich durch umami noch vollkommener verwirklichen. So sind Workshops in Japan, in denen Chefs aus der ganzen Welt entdecken können, wie sie den fünften Geschmack durch feinsinnige und sorgfältig abgestimmte Kombinationen von Produkten aus ihrer jeweiligen Heimat noch besser herausstellen können, für viele im letzten Jahrzehnt ein Muss geworden, und das Interesse wächst in Europa und Nordamerika stetig.



Fischköpfe



Umami als Wort und Geschmack zeigt uns, wie sehr Kulturen von einander lernen können, und wie sehr nicht nur unser Wissen, sondern unsere Lebensart und Lebensqualität durch andere erweitert und bereichert werden. Als universeller Begriff, der längst Teil unserer Sprache geworden ist, wird er uns vermutlich bis in alle Ewigkeit beschäftigen, denn wir werden niemals aufhören, nach einer Übersetzung zu suchen, die – und gerade das ist daran so reizvoll –nur unvollständig und unperfekt bleiben kann. Wir werden uns weiterhin bemühen, uns ihm anzunähern, ihn zu verstehen, ihn zu erfassen und zu spüren, ihn so individuell wiederzugeben, wie wir ihn wahrnehmen. So, wie wir es immer mit dem Anderen, mit dem Fremden tun. In dieser unendlichen Reise zwischen Japan und dem Rest der Welt wird umami unsterblich bleiben. Seine Geschichte wird so lange fortgeschrieben werden, wie unsere Zivilisationen bestehen und miteinander in Dialog treten.

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